Blattkritik – Hannah ist nun Elias: Wo in der Behandlung von Transjugendlichen Evidenz fehlt

Das Gute am Wissenschaftsjournalismus ist ja, dass man keine Quellen angeben muss. Das erleichtert die Berichterstattung enorm: Einen Experten fragen, Wortspenden abholen, und schon ist „der Stand der Wissenschaft“ abgebildet.

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Das Gute am Wissenschaftsjournalismus ist ja, dass man keine Quellen angeben muss. Das erleichtert die Berichterstattung enorm: Einen Experten fragen, Wortspenden abholen, und schon ist „der Stand der Wissenschaft“ abgebildet.

Unsere Kritik zum FALTER-Artikel vom 26.03.2024

Susanne ist jetzt wieder Susanne

Eine neue Leitlinie vernebelt das Wissen zur Behandlung von Transjugendlichen. Wo fehlt noch Forschung?

Susanne ist 12 Jahre alt und besucht ein Gymnasium. Sie ist kreativ, sehr intelligent und eine gute Schülerin. Als Susannes Pubertät fortschreitet, entwickelt sie mentale Probleme, die sich bald auch körperlich zeigen.
Sie kommt wegen ihrer Essstörung auf eine spezialisierte Station. Dort begegnet sie einer Mitarbeiterin, die Transidentität als Ursache des Problems vermutet und dafür sorgt, dass sie in die zuständige Ambulanz übernommen wird. Susanne will jetzt Joe sein. Das Diagnose- und Behandlerteam affirmiert sie als Bub mit dem Namen Joe.
Nach ihrer Entlassung eskalieren die Konflikte mit den Eltern. Sie erkennen zwar ihre Nonkonformität an, jedoch nicht, dass sie jetzt ein Bub ist. Die Eltern vermuten andere Gründe für diese Konflikte und sind sehr besorgt wegen der immer wieder aufflackernden Anorexie.
Susanne verbringt nun jede freie Minute auf Social Media Plattformen in der „Transwelt“. Für Schulangelegenheiten und Künstlerisches bleibt kein Raum.
Susanne bricht die Schule ab. Sie tritt eine Lehrstelle an. Sie trägt am Ausbildungsplatz ein Korsett und zwei Brustbinder übereinander um ihre Brüste zu verbergen und kollabiert wegen Sauerstoff-Unterversorgung. Das Krankenhaus meldet den Vorfall der Kinder- und Jugendhilfe, wo Susanne bei der Vorladung als Bub mit dem Namen Joe angesprochen wird. Susanne will nicht mehr bei den Eltern leben und wird in einer Krisenwohngemeinschaft untergebracht. Die KJH wendet sich wegen Kindeswohlgefährdung an das zuständige Familiengericht, da die Eltern weiterhin nicht bereit sind, für irreversible körperverändernde Maßnahmen an ihrer Tochter die Verantwortung zu übernehmen.
Mit den Eltern hat Susanne unregelmäßigen Kontakt, jedoch bei besserem Einvernehmen.
Das Familiengericht überträgt für Susanne die Obsorge im Bereich der medizinischen Angelegenheiten an die KJH gem §211 (Gefahr im Verzug) iVm §181 ABGB (Kindeswohlgefährdung). “Damit sei sichergestellt, dass die geschlechtsangleichenden Therapien auf den verschiedensten Ebenen begonnen werden können, sodass mit einer deutlichen Stabilisierung und gesundheitlichen Verbesserung ‘des Minderjährigen’ zu rechnen ist” – so der Beschluss. Susanne ist im Personenstandsregister noch immer weiblich.
Mit knapp 18 Jahren erklärt sie ihrer Mutter völlig unerwartet, dass sie nicht transident sei und wieder Susanne heißen möchte. Vor Kurzem konnten Mutter und Tochter erstmals offen über das Thema sprechen: „Mama, ich bin froh, dass du nicht zugelassen hast, dass sie mir Hormone geben“.

Das Gute am Wissenschaftsjournalismus ist ja, dass man keine Quellen angeben muss. Das erleichtert die Berichterstattung enorm: Einen Experten fragen, Wortspenden abholen, und schon ist „der Stand der Wissenschaft“ abgebildet.

Im Fall der „Behandlung von Transgender Jugendlichen“, dem sich der Artikel von Anna Goldenberg im Falter 13/24, S. 18 widmet, ist das aber nicht so einfach. Ihr Gesprächspartner, Dr. Martin Fuchs, ist einer der Autoren der neuen Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)”, die in ein paar Wochen offiziell herauskommen wird, aber schon jetzt, mit unglaublichem PR Aufwand, in die Welt gepustet wurde.

Warum so (vor)schnell?

Eigentlich wollten die Autoren eine S 3 Leitlinie (höchste Evidenz) vorlegen. Das ist angesichts der mehr als mageren Datenlage nicht möglich, so wurde schnell auf den letzten Metern aus Evidenz  Eminenz (Behandler einigen sich auf ein Verfahren).
Der Leitlinienentwurf stützt sich unter anderem auf die sogenannten „Standards of Care – SoC-8 (2022)“ der World Association of Transgender Health (WPATH). Das ist eine Organisation, die seit kurzem gründlich in Misskredit steht. Anfang März wurden die „WPATH Files“ veröffentlicht: Dokumente, Videokonferenzen, Chatprotokolle aus der Mitte dieser Organisation, die es unmöglich machen, dieser Organisation zu trauen. Was alle Kritiker immer schon annehmen mussten, lässt sich jetzt nachweisen:
Ein von Aktivisten getriebener Verein bestimmt die Behandlungspläne in der ganzen westlichen Welt. Das wäre einen eigenen Artikel wert.

WPATH hat es in den letzten 20 Jahren verstanden, sich als seriöse Organisation zu präsentieren, die der ganzen westlichen Welt praktisch vorschreiben konnte, wie sie mit geschlechtsdysphorischen Menschen umzugehen haben (auch in Österreich). Und alle haben mitgemacht. Dieses Meisterstück an Institutional Capture findet gerade seinen Höhepunkt bei der WHO: Die Kommission, die neue Guidelines für die Versorgung der Transgender-Population ausarbeiten soll, besteht zu 2/3 aus Aktivisten von WPATH, nur ein Drittel haben einen medizinischen Background.

Die neuen Leitlinien orientieren sich nach wie vor an der Soc-8, die ganze Logik des Dokuments beruht darauf. Das ist auch verständlich, schließlich haben die Autoren klinische und Förderstrukturen aufgebaut und sich inhaltlich festgelegt. Das will man nicht aufgeben und man will auch mit dem, was man tut, nicht nicht recht haben.

Über die betroffenen Kinder und Jugendlichen aber wissen wir nichts. Auch Herr Dr. Fuchs nicht. Dass sich die Zahl der Patientinnen in seiner Spezialambulanz zwischen 2015 und 2020 versiebenfacht hat (!), gibt ihm (und Frau Goldenberg) nicht zu denken. Es entsteht daraus keine Frage.
Anderswo schon. Überall sind solche Zuwachszahlen an geschlechtsdysphorischen Kindern (über 80 % davon sind Mädchen!) zu bemerken. Es gibt dazu brauchbare Hypothesen und Konzepte, die Herr Fuchs aber nicht nennt und die Frau Goldenberg nicht kennt. Auch Dr. Wüsthof nicht (der Endokrinologe, der am Ende der Diagnosekette nur noch die Hormoine austeilt). Er hat zwar bemerkt, dass fast nur Mädchen betroffen sind, warum, das erklärt sich ihm nicht. Unter dem Kürzel ROGD („rapid onset gender dysphoria“) wird dieses Phänomen international diskutiert und mit großer Besorgnis wahrgenommen. Nur nicht in der Leitlinie, auch nicht in dem Falter Artikel.
Und über die Situation der Familien wissen wir natürlich erst recht nichts.

In UK, Schweden, Finnland, Norwegen und Frankreich sind die „Behandlungen“ mit Pubertätsblockern verboten oder sehr stark eingeschränkt worden. Die deutsche Leitlinie, von der im Artikel fälschlich angekündigt wird, sie könnte auch für Österreich gelten (das obliegt einem nationalen Gremium von Fachleuten), verkauft gerade diese immer noch experimentelle, nicht zugelassene Intervention als hilfreich, harmlos, reversibel, total fein. Ditto die parallel oder sofort (ab 16 Jahren) administrierte Cross Sex Hormongabe. Alles fein und harmlos.
Dass dem nicht so ist, davon wissen diese Behandler womöglich gar nichts. Es gibt medizinische Literatur dazu, aber es geht auch einfacher: Internet konsultieren unter „detrans“ oder „regret“.
So, wie es junge Frauen auf GoFundMe gibt, die Geld für Mastektomien (Brustamputationen) als Privatpatientinnen einsammeln oder auf  TikTok scharenweise junge Mädchen, die ihre Mastektomien abfeiern, gibt es auch die viele Videos von jungen Menschen, die ihre traurigen Transitionsgeschichten erzählen und deren Körper für immer zerstört sind. Die “schwedische Kohorte” stammt aus 2011 (!), das ist angesichts der jugendlichen “trans” Lawine seit etwa 8-10 Jahren kaum noch ein relevanter Befund. Herr Dr. Fuchs macht es sich einfach und leider hilft ihm der Falter dabei.

Der zynischste Kommentar in Anna Goldenbergs Artikel ist der des Endokrinologen Wüsthof aus Hamburg, der in seiner ganzen 800 trans Patienten umfassenden Laufbahn „gerade einmal fünf Fälle“ erinnert, die retransitioniert sind. Woran das wohl liegen mag?
Wenn man nicht ein ausgemachter Streithansel ist, geht man selten zurück zu den Doktoren, die einen verpfuscht haben. Ich weiss nicht, ob es dazu Daten aus Patientenbefragungen gibt, würde aber mal vermuten, dass die „gerade einmal fünf“ Fälle die Menschen betrifft, denen es wichtig war, Herrn Wüsthof noch ihre Meinung zu sagen.

Faktum ist aber, dass wir über die Anzahl von Regret und Detransition nichts Handfestes wissen. Eine riesige Forschungslücke, die von den Leitlinienautoren nicht nur nicht angesprochen wird, sondern mit solchen unqualifiziert-saloppen Sprüchen à la Wüsthof geradezu verhindert wird. In Österreich wäre es unschwer möglich, anhand der Patientenakten mit einer Follow-up Studie Schlüsse auf Entwicklung und Befinden der behandelten PatientInnen zu ziehen. In dem Dossier, das wir zu dem ganzen Thema „Geschlechtsdysphorie im Jugendalter“ angelegt haben, ist eine solche Studie das wichtigste Desideratum. Es kann ja nicht sein, dass alle weiter blind in der Gegend herumfuhrwerken.

Zitat Dr. Fuchs, an dessen Spezialambulanz im Landeskrankenhaus Hall die meisten Kinder/Jugendlichen im Westen Österreichs behandelt werden: „Im Wesentlichen ändert sich nicht viel“. Das ist ja gerade die Katastrophe.
Berufenere als ich nennen das, was die Leitlinienautoren machen, den größten medizinischen Skandal seit der Lobotomie.

P.S.: Es gibt auch Patienten, die von den körpermodifizierenden Eingriffen profitieren; ich hoffe, dass das für Hannah/Elias, den Vorzeigepatienten von Herrn Fuchs, gilt; allerdings ist das noch nicht ausgemacht. Die Regrets (Bedauern, Reue) setzen oft erst nach 4-7 Jahren ein, wenn die permanent notwendigen Hormongaben ihren Tribut fordern, wenn doch andere Lebenswünsche (Beziehung, Kinder) auftauchen oder aus anderen Gründen. Ich wünsche ihm ein gutes und glückliches Leben.

Bettina Reiter, 30.3.2024

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