Buchrezension – Az Hakeem: Detrans – When transition is not the solution

Das Herzstück des neuen Buches „Detrans - when Transition is not the solution“ sind acht Berichte von Detransitioners.

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Detrans – When transition is not the solution
Selbstverlag, Oktober 2023, 330 Seiten – ISBN-13 ‎ 979-8862184549
Sprache: englisch

Az Hakeem ist Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut in London. Er arbeitete zwölf Jahren in einem der weltweit führenden Zentren für psychoanalytisch fundierte Psychotherapie, der “Tavistock Clinic”.
Über den medizinischen Skandal, der um Tavistock GIDS (Gender Identity Development Service) entstanden ist, siehe die Rezension des sorgfältigen und detailreichen Buches von Hannah Barnes über die ganze Geschichte (Hanna Barnes – Time to think).

Az Hakeem ist inzwischen in privater Praxis niedergelassen und stellt zu Anfang des Buches ein wenig verbittert fest, dass heutzutage „nur ein kleiner Teil meiner klinischen Arbeit mit geschlechtsdysphorischen (gender dysphoric) Patienten zu tun hat, was vor allem an dem schwierigen politischen Klima liegt, das sich eingestellt hat und dem Hass der politischen Trans-Terroristen, die das Leben aller zerstören wollen, die irgendetwas Anderes als einen fraglos affirmativen Zugang (zu dem Thema) vertreten.“ (S. 13 – Übers. EGGÖ)

Bild Quelle: Amazon

Sein erstes Buch „Trans: Exploring Gender Identity and Gender Dysphoria“ von 2018 hat populär und leicht fasslich die Grundsätze dieser kontroversen und komplizierten klinischen und gesellschaftlichen Phänomene erklärt.
Das Herzstück des neuen Buches „Detrans – when Transition is not the solution“ sind acht Berichte von Detransitioners – Menschen also, die den Weg der medizinischen und gesellschaftlichen Angleichung an das Wunschgeschlecht begonnen haben und für die sich dies als falsch herausgestellt hat. Und von Eltern, deren Kinder sich plötzlich – für sie unvorhersehbar – als „Trans” bezeichnen.
Gerahmt sind diese Selbstberichte der jungen Leute und ihrer Eltern von den Überlegungen und Dokumentationen von Hakeem selbst.

Er beginnt mit einer klaren Einteilung des weiten Feldes „Trans“, eines inzwischen schwammigen Sammelbegriffs, unter dem folgende vollkommen verschiedene Zustände gefasst werden:

  1. Transsexualität – Beginn der Dysphorie in früher Kindheit, persistent, symptomatische Erleichterung durch die Transition. Praktisch nur Männer (1 von 10.000). Für diese Gruppe von Männern wurden in den 1980er Jahren in Europa die Transsexuellengesetze geschaffen.
  2. Transvestiten, wenn das Cross Dressing einem gesellschaftlichen und persönlichen Vergnügen dient. „Fetischistische Transvestiten“, wenn das Cross Dressing mit sexueller Erregung einhergeht.
  3. Autogynophilie – sexuelle Erregung durch die Phantasie, selbst eine Frau zu sein (geht mit fetischistischem Cross Dressing einher), der Fokus der Erregung liegt aber auf der körperlichen Selbstvorstellung als Frau (mit Vagina und Brüsten).
  4. ROGD (rapid-onset gender dysphoria) – Hakeem vertritt die These, dass es sich bei diesem epidemischen Phänomen von jungen Mädchen (mehr als 80 %), die ihre Weiblichkeit ablehnen/damit in Konflikt stehen und eine Lösung darin gefunden zu haben glauben, dass sie sich einem männlichen Erscheinungsbild angleichen wollen (was mit Körperverstümmelungen verbunden ist). ROGD hält Hakeem rundherum für eine „pseudo-medizinisierte Jugend Subkultur“.

Medizinisch der interessanteste Punkt ist sicher die These, dass alle transidentifizierten Männer der klassischen Gruppe der „Transexualtität“ psychopathologisch dem Autismusspektrum angehören. Alle verschiedenen Autismusformen, das ganze „Spektrum“, wie es heute heißt, hat gemeinsam, dass ihnen eine „Theory of Mind“ fehlt – darunter versteht man die Fähigkeit, sich vorzustellen, was andere Menschen denken und fühlen. Autistische Menschen sind darauf angewiesen, aus äußeren Zeichen und Hinweisen oder auch deduktiv darauf zu schließen, was die anderen Menschen denken, intendieren etc. Neben der leicht vorstellbaren Fehleranfälligkeit eines solchen nicht intuitiven Denkens haben autistische Menschen auch die Tendenz, in binärer Logik zu denken, sozusagen schwarz-weiß und haben mit den „grauen“ Anteilen der Wirklichkeit Probleme.

Aus dieser Grundcharakteristik des Autismus leitet Hakeem die klinische Hypothese ab, dass transsexuelle Männer praktisch immer Autisten sind – und die Autismusspektrumstörungen (ASD) in allen anderen Gruppen von Transphänomenen ebenfalls eine große Rolle spielt. Gesellschaftlich am wichtigsten, weil auch am zahlreichsten und jüngsten, also vulnerabelsten – sind hier sicher die ROGD-Jugendlichen zu nennen. „Die Kollegen, die klinisch mit geschlechtsdysphorischen Patienten arbeiten, vertreten zunehmend die Ansicht, dass es eine signifikante Korrelation zwischen ASD und Geschlechtsdysphorie (Gender Dysphoria) gibt.“ (S. 35, Übers. EGGÖ)
Dieser gut bekannte Umstand wird üblicherweise als Komorbidität zur Geschlechtsdysphorie interpretiert. Hakeems Ausführungen gehen darüber hinaus – aber er bleibt dabei auch leider unklar.
Während er festhält, dass die nahezu hundertprozentige Übereinstimmung von ASD und „trans“ auf die Untergruppe Transsexualität beschränkt ist und dies für die anderen Gruppen nicht gilt (die Transvestiten, die als Paraphile gesehen werden und die ROGD Kids, von denen er meint, es sei eine Jugend Subkultur), führt er im Folgenden den gesellschaftlichen Diskurs rund um „trans“ durchaus eng mit den Gesetzen, nach denen eine autistische Kommunikation funktioniert: konkretistisch und externalistisch, schwarz-weiß, reglementierend. Beispiel: „hat der Transexuelle einmal den Entschluss gefasst, dass er sich als das andere Geschlecht präsentieren sollte, folgt er den Regeln seines eigenen reduktionistischen und oft stereotypen Denkens dazu, was „männliche“ und „weibliche“ Attribute sind. Dies in dem Glauben, dass die Regelbefolgung für alle gilt und deswegen alle anderen Menschen ihn auch als das Geschlecht sehen MÜSSEN, in dem er sich selbst darstellt.“ (S 37. Übers. EGGÖ).

Transsexuelle brauchen die Klarheit und Eindeutigkeit, die die geschlechtliche Binarität mit sich bringt, und sie gehen davon aus, dass das auch für alle anderen der Fall ist. Viele der imperativen kommunikativen Botschaften aus der Transaktivisten Szene lassen sich so zuordnen: Pronomen etwa sind dann wichtig, wenn ihr Gebrauch mit einer faktischen Realtiätsbestätigung verwechselt werden. Oder die Forderung, nicht mit dem „dead name“ = dem richtigen Vornamen angesprochen zu werden – also die subjektive Selbstwahrnehmung durch die Außenbestätigung quasi verwirklicht zu wissen.

Beides sind bekannte Phänomene, die alle mitbekommen, die sich – politisch, persönlich, medizinisch – in die Nähe von transidentifizierten Menschen begeben und deren Imperativität und Unerbittlichkeit angesichts der Realität immer als etwas „verrückt“ darstellen, deren Motive aber womöglich mit dem Denken à la Autismus zu tun haben, zumindest dessen Formen annehmen und sich dieser Formen bedienen.
Das ist eine sehr interessante These. Hakeems klinische Erfahrung braucht aber sicher Backup, sowohl aus der Sozialwissenschaft und der Kulturanalyse, als auch aus der Medizin selbst. Stimmt es, dass mehr oder weniger alle Transsexuellen ASD neurodivers sind? Und wie hoch ist der Anteil von ASD bei Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie? Und erklärt das binäre Schwarz-Weiß-Denken von ASD neurodiversen Menschen die hochpolitisierte Diskussion rund um „gender queer“ und die Aggressivität von Transaktivisten?

Die Kapitel 18 bis 26 befassen sich mit konkreten Angeboten, es werden verschiedene Selbsthilfegruppen vorgestellt, die juristische Seite (UK) von einer Anwältin beleuchtet, Anforderungen an den neu zu strukturierenden “gendermedizinischen” Dienst im NHS besprochen (Stella OMalley) und – wie ich finde – für den medizinisch/therapeutischen Diskurs am wichtigsten:
Hakeem und Kollegen haben einen Fragebogen zum Assessment von Geschlechtsdysphorie erstellt in zwei Versionen für Erwachsene und für Kinder. Beide Tests sind validiert und wurden publiziert – erstaunlicherweise werden sie bis heute weder in UK noch in USA benutzt (in Australien, wo der Erwachsenentest entwickelt wurde, offensichtlich schon).
Der Test ist im Buch veröffentlicht – könnte also auf Deutsch übersetzt werden und in den Diensten, die sich in D und Ö der Behandlung von Geschlechtsdysphorie widmen, leicht eingesetzt werden (und adaptiert und verbessert, wenn nötig).

von Bettina Reiter am 01.11.2023

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